Dr. med. Hartmut Wirth † 12.11.2011

Im Frühling 1973 begegnen sich vor dem Gebäude A5 der Uni Mannheim zwei langhaarige, bärtige Typen, die so gar nicht ins Bild der „braven“ Mannheimer Studenten passen.
Das Treffen ist nicht ganz so zufällig, sondern liegt daran, daß beide ihre Motorräder direkt neben dem Gebäudeeingang geparkt haben. Eine erste Gemeinsamkeit ist somit schon gegeben: ja keinen Meter unnötig laufen, wenn man ihn auch fahren kann.

Schnell stellen sich im Gespräch dann noch weitere Gemeinsamkeiten heraus:
– beide studieren Soziologie
– beide sind im zweiten Semester
– für beide ist das Studium eher Nebensache
– beide können mit den anderen Kommilitonen eher wenig anfangen
– beide sind leidenschaftliche Motorradfahrer

und auf der Stelle wird sofort eine gemeinsame Tour verabredet. Dies ist der Beginn einer Freundschaft die nie endet.
Noch im gleichen Jahr fahren die Zwei gemeinsam mit ihren Sozias in Urlaub. Eigentlich sollte es nur nach Bremerhaven zu Hartmuts Bruder gehen, doch wenn man schon mal am Fahren ist ….
So wird zunächst ein kleiner Umweg über Hamburg gemacht und auf der Rückfahrt werden noch Holland, Belgien und Luxemburg mitgenommen. Frankreich ist sicher auch reizvoll und so landet man schlußendlich in Paris.

Im nächsten Jahr (1974) geht es bis auf die Orkneys, danach (1975) in die Türkei und im Februar 1976 outen sich die beiden – zusammen mit einem weiteren Spinner – als harte Burschen und machen sich auf den Weg zum Elefantentreffen auf dem Nürburgring.
Der erste Anlauf endet in einer Kurve in der Gegend von Hochspeyer bei Kaiserslautern. Der Dritte im Bunde hat sich flachgelegt und beim Kontakt mit dem Pfosten der Leitplanke das Bein gebrochen.
Hartmut versorgt den Verletzten fachgerecht – er hat schon damals seine Leidenschaft zur Medizin als Sanitäter ausgelebt und das Soziologiestudium ist ja auch nur Wartezeit auf einen Studienplatz für Medizin – und mit den Worten „komm erst mal runter und beruhige dich“ schiebt er ihm eine Fluppe zwischen die Lippen.
Die ankommenden Rettungssanitäter sind entsetzt, doch Hartmut erklärt seelenruhig „besser er raucht als das er einen Schock bekommt“.
Diese eher pragmatische, am Menschen orientierte Haltung wird er dann auch als Dr. med. sein Leben lang beibehalten. Sicher auch zum Entsetzen so mancher schulmedizinisch fixierten Kollegen.

Auf einer Motorradtour in die Normandie im April 1977 werden wir, zusammen mit unseren Begleitern, in Verdun als RAF-Terroristen verhaftet und erst nach Stunden wieder frei gelassen. Warum mit Straßensperren nach uns gesucht wurde erfahren wir nicht. Erst nach unserer Heimkehr erfahren wir das zum Zeitpunkt unseres Tourstarts in Karlsruhe der Bundesgeneralstaatsanwalt Buback von einem Motorrad aus erschossen wurde.
Im selben Jahr beginnt Hartmut sein Medizinstudium. Dieses nimmt ihn so in Anspruch, daß unsere gemeinsamen Touren fast gänzlich zum Erliegen kommen, bzw. sich auf Kurztouren durch den Oden- oder Pfälzer Wald beschränken, aber unser Kontakt reißt nie ab. Auch nicht, als ich 1982 in den Hotzenwald ziehe und aus Geldmangel wegen Familiengründung bis 1994 das Motorradfahren einstellen muß.
Besuche über die Osterfeiertage werden zur Regel und auch sonst zog es uns aus dem Hotzenwald häufiger zu überfallartigen Besuchen in den Kraichgau.

Über die Jahre nehmen wir so Teil am Leben des jeweils Anderen. Erleben unsere Hochzeiten, die Geburten und das Aufwachsen der Kinder, unsere beruflichen Karrieren, das Scheitern unserer Ehen, die neuen Lebenspartner, kurz alle Hochs und Tiefs des Lebens.

Ab 1999 werden unsere gemeinsamen Touren und Motorradurlaube wieder häufiger. Wir kurven in den folgenden Jahren mehrfach nach Italien. Die Toskana, Umbrien und natürlich die Dolomiten sind die Ziele, die Abende bei Pasta und reichlich Rotwein immer lang.

Unser letzter gemeinsamer Motorradurlaub führte uns 2007 in die Seealpen. Die Duc und den Adler gemeinsam über die Pässe fliegen zu lassen war ein unvergessliches Erlebnis.

In all den vergangenen Jahren hab ich Hartmut des Öfteren mit für ihn wildfremden Menschen – meist Motorradfahrern – heimgesucht. Alle erinnern sich gern an seine freundliche, augenzwinkernde menschliche Art. Nichts drückt dies besser aus als das, was mir von einem dieser Besucher aufgetragen wurde: richte seinen Angehörigen aus, dass ich Hartmut in Erinnerung behalten werde, wie ich ihn kennen gelernt habe, als herzlichen, liebenswerten, gastfreundlichen Menschen, der gerne lachte und schnell Motorrad fuhr.

Schnell Motorrad fuhr Hartmut immer, zu schnell selten. Doch jetzt war ein ungebetener Gast viel zu schnell und hat Hartmut zur ewigen Reise abgeholt. In Gedanken werde ich Hartmut auf dieser Reise immer begleiten.

Dottore Duc mit seinem „Altagsmädchen“

 

Dottore Duc – Ein Nachruf