In der Nacht hat es nicht mehr geregnet und auch am Morgen hängen nur wenige Wolken am Himmel. Also wieder alles raus aus dem Zelt und in die Sonne gehängt. Das Überzelt ist außen und innen klatschnaß, deshalb muß es außen erst mal trocknen bevor ich den Rest des Zeltes – insbesondere den Zeltboden – der Sonne aussetzen kann.
Die ganze Trocknungsprozedur dauert recht lange bevor ich mich nach zwölf Uhr von Maya & Hans verabschieden und auf’s Motorrad schwingen kann. Die Amis sind schon nach kurzer Begrüßung am Morgen zu den Ruinen verschwunden. Ein Bild von ihnen zu machen hab ich vor lauter Abreisestreß total vergessen. Aber sie wollen ja bis Panama und dann retour, vielleicht fährt man sich ja wiedermal über den Weg.

Die Carretera Fronteriza führt über 450 km dicht an der Grenze zu Guatemala entlang und ist – zumindest heute – nicht die totale Einsamkeit und Landschaft pur wie im Reiseführer beschrieben. Klar gibt es 200 km keine Tankstelle, aber das ist ja kein Problem. Dafür gibt es jede Menge Dörfer, die alle erstaunlich gepflegt und sauber sind. Die Landschaft ist zwar hübsch mit ihrem satten Grün, aber die Straße führt ziemlich schnurgerade durch. Bis auf eine, ist von den angekündigten vielen Militärkontrollen heute nichts zu sehen. Die Soldaten dösen im Schatten und behindern den Verkehr nicht.

Hügel Richtung Guatemala
Saftiges Grün wo einmal Urwald war

Am frühen Nachmittag komm ich in Benemérito de las Américas an. Hier gibt es die erste Tankstelle, also wird vollgetankt und da dies für die nächsten mehr als 200 km der einzige größere Ort ist, auch gleich nach einem Hotel Ausschau gehalten. Beim zweiten Versuch werd ich fündig, bekomm ein schön großes Zimmer mit Ventilator für 150 Peso (9,30 €) und kann das Motorrad im Innenhof direkt vor meiner Tür parken.
Die Stadt selbst hat nichts zu bieten, sondern ist eine 2 km lange Ansammlung von Behausungen links und rechts der Carretera Fronteriza. Immerhin kann ich mir FVB besorgen und ein Restaurant für’s Abendessen gibt es auch.

Hinter Benemerito führt die Carretera Fronteriza noch ca. 60 km nach Süden um dann nach Westen abzuknicken. Am nächsten Tag (05.01.) nehm ich gleich ein paar Kilometer nach Benemerito eine Abkürzung, die gleich nach Südwesten führt und nach ca. 100 km wieder auf die Fronteriza trifft. Die ersten 30 km ist die Straße in einem katastrophalen Zustand. Riesige Schlaglöcher, unbefestigte Abschnitte und Schlammlöcher. Ich bereue schon fast meine Entscheidung, aber der Straßenzustand bessert sich dann doch erheblich. Auf dieser Strecke ist wirklich Einsamkeit. Lediglich durch drei Dörfer fahr ich durch.

Niedergebrannt
Rio Lacantun

Der erste Teil der Strecke ist flach und öde, denn ganze Landstriche wurden abgebrannt. Später wird es hügelig, grüner und teilweise führt die Straße durch Dschungel.

Eingebettet in recht steile Berge
Laguna Tziscao

Kurz nachdem die Abkürzung auf die Fronteriza trifft wird die Landschaft wirklich wunderschön. Steile Berge, größtenteils mit dichtem Wald bewachsen, in Täler eingebettete Dörfer und etwa 60 km vor Comitán de Domínguez liegen die Lagos de Montebello. Mehrere größere und kleinere Seen mit wunderbar blauem Wasser inmitten von Wäldern. Natürlich kostet das Gebiet Eintritt, obwohl eine Staatsstraße durchführt, aber sogenannte Sehenswürdigkeiten sind in Mexico praktisch nie kostenlos.

Am frühen Nachmittag komm ich in Comitan an. Am Westrand der Stadt führt die Panamericana durch und dort herrscht ein ordentlicher Trubel. Liegen dort doch Geschäfte und Gewerbebetriebe an beiden Straßenseiten entlang. Als ich dann endlich das Zentrum finde, ist es merklich ruhiger.
Auch hier wieder das Problem der Kolonialstädte. Enge Straßen und hohe, schmale Bürgersteige. Bei der Stadtbesichtigung von der Motorradsitzbank aus, entdecke ich zwar einige Hotels, aber die meisten von deren Innenhöfen sind durch die hohen Bordsteine und z.T. zusätzlichen Treppen als Parkplatz für das Motorrad völlig ungeeignet.
Da vom Motorrad aus nicht immer alles genau zu sehen ist, steht ein Spaziergang an. Nach ca. einer halben Stunde bin ich fündig. Zimmer mit Bad für 100 Peso (6,20 €) , Motorrad kann problemlos in den überdachten Innenhof gefahren werden und das alles nur einen Block von der Plaza entfernt. Da ich seit Benemerito Durchfall habe, den ich auskurieren möchte, wird gleich für drei Nächte gebucht.

Beim abendlichen Rundgang entpuppt sich Comitan als sehr ruhiges, relaxtes Städtchen. Auf der Plaza herrscht zwar Leben, aber es fehlen die Futter- und Verkaufsstände, dafür sind die Restaurants unter den Arkaden sehr gut besucht. Die meisten Läden sind geschlossen, sogar das Internetcafe gegenüber vom Hotel. So dauert es nicht lange bis ich den Rundgang beende und mich in das Hotelzimmer zurück zieh.

Heute ist in Mexico der wichtigste Weihnachtsfeiertag, denn erst am 06.01. bekommen die Kinder ihre Geschenke. Fast alle Läden sind geschlossen, aber auf der Plaza herrscht schon etwas leben. Ein großes Tischviereck ist aufgebaut, darauf liegt Dreikönigskuchen.

Dreikönigskuchen
Neuestes Spielzeug der Ortspolizei
Die Verteilung kann beginnen
Gedrängel
Früh übt sich wer ein Rodeoreiter werden will

Zuerst denk ich, hier wird etwas für’s Guinessbuch der Rekorde vorbereitet, aber dann seh ich das der Kuchen aus vielen Einzelnen besteht. Ein Polizist, der stolz eines der beiden neuen Spielzeuge spazieren fährt, klärt mich auf. Heute ist der Tag der Kinder, unter denen der Kuchen demnächst kostenlos verteilt wird. Tatsächlich füllt sich die Plaza immer mehr Familien.
Der Polizist war auch ein paar Jahre als Gastarbeiter in der USA, freut sich mit einem der seltenen Touristen Englisch sprechen zu können und löchert mich mit Fragen. Fast eine Dreiviertelstunde dauert das Gespräch und er hätte mich sicher noch weiter in Beschlag genommen, wenn nicht hätte dienstlich tätig werden müßen. Ein Kind hat seine Mutter aus den Augen verloren.

Inzwischen ist mit der Verteilung des Kuchens begonnen worden, das Gedränge wird größer, aber insgesamt geht es doch überraschend geordnet zu. Ich geh in den OXXO an einer Ecke der Plaza, hol mir einen Kaffee. Dann zieh ich mich an den Rand der Plaza zurück und beobachte das bunte Treiben eine ganze Weile. Dann folgt noch ein kurzer Innenstadtrundgang und danach geht’s zur Siesta ins Hotel zurück.

Am Abend stehen etliche Männergruppen auf der Plaza rum. Alle sind „typisch“ mexicanisch gekleidet, d.h. weißes Hemd, darüber eine enge, kurze Jacke, enge Hosen mit Gold bzw. Silberknöpfen an den Seiten. Die Gruppen unterscheiden sich nur in den Farben der Kleidung. Schwarz, grau, braun, beige etc. Bisher kenn ich diese Kleidung nur in Zusammenhang mit Musikgruppen, aber von Instrumenten ist nichts zu sehen. Jede dieser Gruppen steht abseits von den Anderen in der Gegend rum, zumindest so lange bis ich meinen Abendspaziergang via Plaza beende. Was das ganze soll, Abordnungen verschiedener Stadtteile ??

Obwohl es immer noch im Gedärm zwickt, mach ich heute (07.01.) einen Ausflug zu den rund 40 km entfernten Wasserfällen von El Chiflon.

hübsches Indigena-ejido am Weg
Grill- und Badestelle

Ein ordentlicher, sehr sauberer Weg – alle paar Meter stehen Abfallkübel und hängen Schilder die dazu auffordern, Müll nicht in die Gegend zu werfen und die Bäume nicht mit Schnitzereien und Farbspray zu verunzieren – führt 1,5 km entlang des bewaldeten Ufers des Rio San Vicente. Unterwegs kommt man an Cabanas vorbei die schon kleinen Hotels ähneln, sowie mehreren Grill- und Badestellen. Der ejido der das Ganze für 20 Peso (1,25 €) Eintritt unterhält, treibt sehr viel Aufwand alles sauber und in Schuss zu halten.

Schon sehr schön, ..
… es wird immer besser, …
… aber noch ist längst nicht Schluss

Vom gepflasterten Weg mit sehr vielen Treppen um den Höhenunterschied von 150 Metern bis zur Hauptattraktion zu bewältigen, führen immer wieder Seitenwege zu einer Reihe immer dramatischerer und schönerer Wasserfälle.

Die Treppen führen ganz schön steil bergauf und damit man weiß wieviel Quälerei noch vor einem liegt, stehen ab und zu Schilder auf den steht wie viel Meter noch vor einem liegen. Manchmal hab ich den üblen Verdacht es sind Höhenmeter angegeben, denn in den Motorradstiefeln und -klamotten kommt mir das so vor. Obwohl es nicht sonderlich warm ist (28 Grad), bin ich klatschnaß geschwitzt und muß neidvoll zur Kenntnis nehmen, dass mich so manche mexicanische Superschwergewichtsmatrone locker abhängt.
Aber der Blick auf den 70 Meter hohen Wasserfall Velo de Novia entschädigt für die Mühen.

Der Mittlere ist Velo de Novia

Vom Aussichtspunkt auf dem Felsen bekommt ich trotz Weitwinkel die 70 Meter Donnern und Gischt leider nicht komplett auf’s Bild, bin aber klatschnaß und fast taub als ich mich wieder auf den unteren Aussichtspunkt zurück ziehe.

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Mutig
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Obwohl ich schon fix und fertig bin, kann ich es nicht lassen auch noch bis zum obersten Wasserfall hoch zu gehen. Sind ja nur schlappe 70 zusätzliche Höhenmeter. Aber es ist ja erst 13 Uhr und auch eine Schnecke erreicht irgendwann das Ziel.
Leider sieht man von dort oben nicht auf den Velo de Novia hinunter. Dort könnte das ejido noch eine Plattform mit Glasboden bauen …

.Der oberste Wasserfall, ..
dessen Becken zum Baden sicher nicht geeignet ist
Blick auf den Rio San Vicente

Gegen 17 Uhr bin ich zurück im Hotel und stell mich erstmal unter die Dusche. Die naßgeschwitzten Motorradklamotten dürfen auch drunter und werden dann vor dem Zimmer über die Wäscheleine gehängt,
denn ich hab das Privileg quasi auf der Dachterrasse zu wohnen und dort wird auch die Wäsche das Hotels getrocknet.
Obwohl ich den Durchfall eigentlich aushungern wollte, leiste ich mir heute Abend eine – nicht sehr gute – Pizza. Ausnahmsweise trink ich dafür kein FVB, sondern eine Cola. Leider hab ich keine Salzstangen, deshalb muß zusätzliches Salz allein reichen.

Eigentlich wollt ich am Samstag nach Guatemala ausreisen, aber da der Durchfall immer noch im Gedärm zwickt, bleib ich auch noch am Sonntag in Comitan. Die zwei Tage treib ich mich in der Stadt rum und fahr auch mal zum Walmarkt am Stadtrand, denn ich versuch erfolglos eine Guatemalakarte auf zu treiben. Meine ist aus dem Kartenfach das Tankrucksacks von Unbekannt widerrechtlich entfernt worden.

Mein letzter kultureller Akt am Sonntag ist die Besichtigung des Centro Cultural Rosario Castellanos, welches im ehemaligen Kloster neben der Iglesia Santo Domingo an der Plaza untergebracht ist. Im hübschen Innenhof mach ich die vorerst letzten Photos in Mexico.

Mexicanisch makaber
Verniedlichte Geschichte der Region
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Gruß nach Deutschland, inzwischen bereits aus Guatemala.

04.01. – 09.01.2011 In Grenznähe: Carretera Fronteriza, Comitan